Ethnografische Objekte aus den ehemaligen Kolonien stehen häufig unter Verdacht, dass sie unrechtmäßig in die europäischen Völkerkundemuseen gelangt sind. Die Museen können oft rekonstruieren, von welchen Sammler*innen diese erworben oder überlassen wurden.

 

Doch unter welchen Umständen die Objekte gesammelt wurden, das lässt sich selten ermitteln.


Stammten die Artefakte aus Raubzügen oder Kriegsbeute?

Hatte man sie den Kolonisierten abgepresst?

Oder waren sie geschenkt, getauscht oder

erworben worden? 

 

Nur in seltenen Fällen lässt sich das genauer feststellen.


Etwa bei den so genannten Benin-Bronzen, die beim britischen Angriff auf den Königspalast von Benin erbeutet worden waren und anschließend auf Auktionen versteigert wurden.

Die Bronzen sind inzwischen restituiert worden und werden von den rechtmäßigen Eigentümern an das Linden-Museum verliehen.

Source: Linden Museum Stuttgart.
Source: Linden Museum Stuttgart.
Source: Linden Museum Stuttgart.
Source: Linden Museum Stuttgart.

 

Auch die Witbooi-Bibel und seine Peitsche stammen eindeutig aus einer solchen Gewalttat:

 

Sie wurden am 12. April 1893 beim deutschen Überfall auf das Lager von Hornkranz geraubt.


Ohne Kriegserklärung überfiel die deutsche „Schutztruppe“ unter Curt von François (1852-1931) im Morgengrauen die Siedlung. Rasch zog sich Hendrik Witbooi mit seinen Kriegern zurück und erwartete den deutschen Angriff. Stattdessen richteten die Deutschen ein Blutbad an, 88 Witbooi, fast nur Frauen und Kinder wurden in ihren Hütten aus kurzer Distanz erschossen.

Skandalös: Fehlbezeichnung des „Gefechts von Hornkranz“

In deutscher Kolonialliteratur oder auf Wikipedia wird dieses Massaker fälschlicherweise oft als „Gefecht von Hornkranz“ bezeichnet. 

Source: British Library, via Flickr Commons, CC0.
Source: British Library, via Flickr Commons, CC0.

 

Deutsche Quellen spielten die zivilen Opfer frühzeitig herunter, während die britische und südafrikanische Presse die Morde anprangerte. Die Ermordung von Frauen und Kindern war dabei kein Kollateralschaden. Denn Kommandeur Curt von François hatte nach seinem eigenem Bericht folgenden Befehl ausgegeben:

 

„Die Truppe hat den Auftrag, den Stamm der Witboois zu vernichten.“

Die Deutschen errichteten in Windhoek ein Denkmal mit Reichsadler:

„Dem Andenken der in dem Kriege gegen den Stamm der Witbooi’s

in den Jahren 1893 und 94 gefallenen Helden

Source: Theodor Leutwein: Elf Jahre Gouvaneur in Deutsch-Südwestafrika, Berlin 1906, S. 131, via Project Gutenberg.
Source: Theodor Leutwein: Elf Jahre Gouvaneur in Deutsch-Südwestafrika, Berlin 1906, S. 131, via Project Gutenberg.
Source: Bundesarchiv, Bild 105-DSWA0022 / Walther Dobbertin/ CC-BY_SA 3.0, via Wikipedia.org.
Source: Bundesarchiv, Bild 105-DSWA0022 / Walther Dobbertin/ CC-BY_SA 3.0, via Wikipedia.org.

(Das Denkmal steht heute noch im Zoo Park, Windhoek)

Der Weg ins Museum

Source: Linden Museum Stuttgart.
Source: Linden Museum Stuttgart.

Die Peitsche und die Bibel Hendrik Witboois wurden bei diesem Massaker erbeutet.

Der Gründer des Stuttgarter Völkerkundemuseums, Karl Graf von Linden, hatte den ehemaligen Kolonialbeamten Paul Wassmannsdorf überredet, ihm einige Objekte seiner Sammlung zu überlassen. Wassmannsdorf selbst war erst 1895 in Deutsch-Südwestafrika eingetroffen und nicht am Massaker beteiligt.

Wusste das Museum von der illegitimen Herkunft der Objekte?

Wie die Beschriftung dieser Tabakpfeife zeigt, war die Herkunft der Objekte, wie auch der Bibel und Peitsche, den Museumsmitarbeitenden bekannt.

Beim Eingang der Objekte war festgehalten worden:

 

„No. 4 Peitsche von Kapitän Hendrik Witbooi... erbeutet beim Sturm auf Hornkranz“.

Source: Linden Museum Stuttgart.
Source: Linden Museum Stuttgart.

Source: Linden Museum Stuttgart.
Source: Linden Museum Stuttgart.

 

Noch in der Sonderausstellung mit dem missglückten Titel „Von Kapstadt bis Windhuk: „Hottentotten“ oder Khoekhoen?“ (2007) waren Peitsche und Bibel präsentiert worden, mit dem ausdrücklichen Hinweis auf den Überfall bei Hornkranz.

 

Doch  blieb dieser Kontext des kolonialen Raubs größtenteils öffentlich unbeachtet.


Als 2018 der namibische Botschafter im Namen der Familie Witbooi um Rückgabe von Peitsche und Bibel bat, erklärten sich das zuständige Wissenschaftsministerium und die neue Museumsleitung sofort dazu bereit. Staatssekretärin Petra Olschowski und die neue Direktorin Inés de Castro reisten nach Namibia, um mit der Regierung und den Angehörigen die Rückgabe zu organisieren.

 

Das Linden-Museum verfolgt heute eine ganz andere Politik als in der Vergangenheit.

Erfahre entweder mehr über verhinderte Restitutionen in der Vergangenheit...

Source: Linden Museum Stuttgart.
Source: Linden Museum Stuttgart.

...oder den Umgang mit Rückgabeforderungen in der Gegenwart.

Source: Shawn van Eden / MWK.
Source: Shawn van Eden / MWK.